Hans Robert Jau? and his Nazi Past

Auftakt

Ende des Jahres 2013 kam der Konstanzer Anwalt und Dramatiker Gerhard Zahner auf den Rektor der Universit?t Konstanz zu mit dem Wunsch, sein Theaterstück mit dem Titel ?Die Liste der Unerwünschten“ über die Vergangenheit von Hans Robert Jau? in der Universit?t aufführen zu lassen. Der Rektor ging auf den Vorschlag ein, beriet sich aber auch mit dem Fachbereich Literaturwissenschaft, woraus der Plan entstand, parallel zur Anfrage von Gerhard Zahner den Historiker Jens Westemeier von der Universit?t Potsdam mit der Erstellung einer wissenschaftlichen Dokumentation – im  Dreiklang von Archivarbeit, Auswertung und Bericht – über die NS-Biographie von Jau? zu beauftragen. Wie weiter unten dargestellt, kam die Vergangenheit von Hans Robert Jau? in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in die Diskussion – es war Wunsch der Universit?t, mit dieser wissenschaftlichen Dokumentation Fakten und Wissen als Grundlage für eine sachliche, fundierte Aufarbeitung zu schaffen.

1. Akt: 19. November 2014

Beide Projekte verliefen parallel und kreuzten sich zum ersten Mal am 19. November 2014, als das Stück im Audimax der Universit?t vor ca. 300 Besuchern aufgeführt wurde. Das Stück entfaltete aufgrund seiner künstlerischen Qualit?t, der Umsetzung des Regisseurs Didi Danquart, der beeindruckenden Leistung des Schauspielers Luc Feit und nicht zuletzt natürlich aufgrund seines Inhalts eine starke Wirkung auf das Publikum. Das zeigte sich in der anschlie?enden Diskussion, die von Prof. Albrecht Koschorke moderiert wurde. Der Protagonist Hans Robert Jau? tr?gt in diesem fingierten Stück Episoden seiner Biographie vor, die er zu Lebzeiten mit beharrlichem Schweigen übergangen hatte.  Im Zentrum stand dabei die ?Liste der Unerwünschten’. Sie bezieht sich auf franz?sische Angeh?rige der sp?teren SS-Division Charlemagne, die in das KZ Stutthof überstellt werden sollten, wofür in dem Stück Jau? verantwortlich gemacht wurde. In der anschlie?enden Diskussion hat der Historiker Westemeier bereits Widerspruch zu dieser These des Stücks formuliert, eine Position, die er in der weiteren Ausarbeitung seiner Studie best?tigt hat.

2. Akt: 20. Mai 2015

Auf die Veranstaltung vom 19. November folgten heftige Diskussionen und ein breites Echo in der lokalen und überregionalen Presse, die ausführlich über die Veranstaltung in Konstanz berichtete. Es formierte sich auch eine kleine Gruppe aus emeritierten Professoren und ehemaligen Jau?-Schülern, die dem Rektor u.a. Verfahrensfehler und eine Vorverurteilung des Kollegen Jau? vorwarf. Diese Gruppe brachte ihre Ansichten auch ?ffentlich im Audimax zum Ausdruck, wo am 20. Mai 2015 der Historiker Westemeier die Ergebnisse der wissenschaftlichen Dokumentation vorstellte. Gestützt auf eine breite und tragf?hige Quellenbasis, legt Westemeier dar, dass Jau? ein überzeugter Nationalsozialist und SS-Führer war. Erstmalig wird in dem Bericht auch Jau?‘ Aufenthalt in Kroatien im Jahr 1943 dokumentiert, wo die von ihm befehligte Kompanie an Kriegsverbrechen der Waffen-SS (sogenannten ?Sühnema?nahmen“) beteiligt war. Nach 1945 lie? Jau? (wie fast alle anderen seiner Generation) keine ernsthafte Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit seiner SS-Vergangenheit erkennen. Auch über diese Veranstaltung wurde ausführlich in den Medien berichtet (Deutschlandfunk, NZZ, SZ, S?DKURIER, NOZ).

3. Akt: 6. Juli 2015

In einem dritten Schritt stand die ?Causa Jau?’ – wiederum moderiert von Albrecht Koschorke – ?ffentlich zur Diskussion, diesmal im Rahmen des Fachbereichs Literaturwissenschaft. Es waren zwei renommierte Historiker von ausw?rts eingeladen: Prof. Norbert Frei von der Universit?t Jena und Prof. Peter Sch?ttler von der FU Berlin, sowie Aleida Assmann, em. Professorin der Universit?t Konstanz, die über Jau? im Kontext der Gruppe ?Poetik und Hermeneutik’ sprach. Themen dieser Veranstaltung waren die zwei Leben von Hans Robert Jau?, die er durch Schweigen, Verdr?ngung, Leugnung und Neuorientierung sorgf?ltig voneinander getrennt hat, aber auch historische Generationen und ihre Grenzen sowie langfristige bewusste und unbewusste Pr?gungen durch eine indoktrinierte Kindheit und Jugend.  Auch die Frage des bleibenden Wertes des Lebenswerks von Jau? vor dem Hintergrund seiner NS-Biographie wurde ausführlich diskutiert.

Fazit

Mit den drei Veranstaltungen hat die neuerlich aufgeflammte Diskussion um die ?Causa Jau?’ an der Universit?t Konstanz, soweit absehbar, ihren Abschluss gefunden. Deshalb sind an dieser Stelle ein Fazit und eine Bewertung des Vorgangs angebracht.

1.


Es ging um einen historischen Aufkl?rungsprozess, nicht um die Verurteilung eines Verstorbenen.

Zwar kam die Biographie von Jau? bereits 1988 in den USA und 1995 an der Universit?t Konstanz als Thema auf; eine echte Diskussion fand an der Universit?t Konstanz jedoch nicht statt. Noch war der Impuls der ?Ehrenrettung“ st?rker als der Wunsch nach umfassender wissenschaftlicher Aufkl?rung.

Eine erneute Besch?ftigung mit diesem Thema ist also alles andere als überflüssig. Zudem ist in diesem Land der Wunsch nach Aufkl?rung über die NS-Zeit seitens nachfolgender Generationen ein Grundrecht.

2.


Gustav Seibt schrieb 1998 über Jau?: ?Sein Itinerar im Krieg ist nur in Umrissen bekannt; die historische Forschung hat hier erst begonnen.“ Die Universit?t hat das Projekt von Gerhard Zahner zum Anlass genommen, mithilfe eines dafür eingesetzten Historikers erhebliche Lücken in der Biographie von Jau? zu füllen. Die Studie von Jens Westemeier, die im Verlag Konstanz University Press erscheinen wird, hat die Diskussion über Jau? auf eine neue Grundlage gestellt und damit Klarheit in eine diffuse Situation/Mischung aus der Verdachtsmomenten, Ehrenrettungen und Polemiken gebracht.  Diese Forschungsarbeit entspricht dem Ethos einer wissenschaftlichen Institution.

3.


Im Lichte dieser Studie werden problematische Episoden der Jau?schen Biographie erstmals dokumentarisch belegt und allgemein zug?nglich gemacht. Es werden aber auch klare Grenzen gegenüber unzutreffenden Vermutungen gezogen.  Was die Mitschuld an Kriegsverbrechen angeht, so ist festzustellen, dass das Bataillon, dem Jau?ens Einheit angeh?rte, in Kroatien an Kriegsverbrechen beteiligt war, für die Jau?  eine Mitverantwortung tr?gt, auch wenn in diesem wie in vielen vergleichbaren F?llen eine pers?nliche unmittelbare Beteiligung aufgrund der Quellenlage nicht nachzuweisen ist. Die historischen Nachforschungen haben den Verdacht explizit widerlegt, dass Jau? etwas mit der ?Liste der Unerwünschten’ zu tun gehabt hat. Diese Kritik wurde von Gerhard Zahner aufgenommen; den Titel seines Stücks hat er entsprechend ver?ndert.

4.


Die Person Jau?, das ist abschlie?end zu betonen, darf nicht als ein isolierter Einzelfall betrachtet werden. In seiner Biographie spiegeln sich Einstellungen, Hoffnungen, Emotionen, Wertsetzungen und nachtr?gliche Strategien im Umgang mit der belastenden Vergangenheit einer ganzen Generation. Es sind Mitglieder dieser Generation, die die Universit?t Konstanz aufgebaut und ihre Erfolgsgeschichte begründet haben.  Auch die Universit?t ist, wie wir nun klarer sehen, Teil einer Geschichte, die nicht erst 1966 begonnen hat.

(Eingestellt im Juli 2015)

Die Causa Jau? – 2. Teil: 2016-2018

Der oben stehende Bericht über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Hans Robert Jau? umfasst die Ereignisse von 2013 bis Juli 2015. Das Anfang 2014 von der Universit?tsleitung in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten wurde in verschiedenen Kommunikations- und Austauschformaten, insbesondere den ?ffentlichen Veranstaltungen, diskutiert und gewürdigt. Nach Abschluss dieses Prozesses waren die inhaltlichen und wissenschaftlichen Diskussionen, das Nachdenken und Nachforschen jedoch noch nicht zu Ende. Ein zweiter Teil des Berichts in Form einer Bibliographie zeigt, wie die Auseinandersetzung mit dem Fall Jau? zwischen 2016 und 2018 im Medium wissenschaftlicher Forschung und deutender Studien weitergegangen ist.

Bibliographie:

Albrecht Koschorke (2016)
?Fakten. Endlich ist Jens Westemeiers Jau?-Monographie erschienen“, uni’kon 64, (2016), 52-53. 

Ottmar Ette (2016)
Der Fall Jau? : Wege des Verstehens in eine Zukunft der Philologie. Berlin : Kulturverlag Kadmos, 2016.

Julia Amslinger (2017)
Eine neue Form von Akademie. "Poetik und Hermeneutik" -- die Anf?nge. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2017.

Aleida Assmann (2017)
Die Entfernung eines Grundsteins – der Fall Hans Robert Jau? und die Universit?t Konstanz, in: dies., Formen des Vergessens, G?ttingen: Wallstein, 2017, 174-196. 

Petra Boden und Rüdiger Zill (2017)
Poetik und Hermeneutik im Rückblick. Interviews der Beteiligten, Paderborn: Wilhelm Fink, 2017.

Wolfgang Schuller (2017)
Anatomie einer Kampagne. Hans Robert Jau? und die ?ffentlichkeit,
Leipzig: Leipziger Universit?tsverlag, 2017.

Roland Galle (2018)
Hans Robert Jau? im Kreuzfeuer. Anmerkungen zu Publikationen von Jens Westemeier, Ottmar Ette und Frank-Ruttger Hausmann, Vierteljahrsschrift für Romanische Forschungen, 130. Band, Heft 4, 2018, 480-502.

Aleida Assmann (2018)
Die Forschergruppe als Ort der Intellektualit?t. Das Beispiel Poetik und Hermeneutik, in: Jürgen Fohrmann und Carl Friedrich Gethmann (Hgg.), Topographien von Intellektualit?t, G?ttingen: Wallstein, 2018, 117-141.

(Eingestellt am 8. Mai 2019)