Tiere so unterschiedlich wie Insekten und Fische verwenden denselben Algorithmus, um sich w?hrend der Fortbewegung für eines unter mehreren m?glichen Zielen zu entscheiden. Das Bild zeigt die überlagerten Bewegungsbahnen simulierter Tiere, wie sie von dem Computermodell der Entscheidungsfindung vorhergesagt werden. Bild: Vivek Hari Sridhar, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Wie Tiere r?umliche Entscheidungen treffen

Forschende entdecken eine einheitliche Regel dafür, wie Tiere w?hrend der Fortbewegung r?umliche Entscheidungen treffen – 明升体育_足球竞彩网-官网es Forschungsprojekt unter Leitung von Konstanzer WissenschaftlerInnen

Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Universit?t Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie hat mit Hilfe von Virtual Reality (VR) Technologien den Algorithmus entschlüsselt, den Tiere verwenden, wenn sie sich w?hrend der Fortbewegung für eines unter mehreren m?glichen Zielen entscheiden. Die heute in PNAS ver?ffentlichte Studie zeigt, dass Tiere die Komplexit?t ihrer Umwelt verarbeiten, indem sie die Welt auf aufeinanderfolgende Entscheidungen zwischen lediglich zwei Optionen – sogenannte bin?re Entscheidungen – reduzieren. Diese Strategie führt zu einer ?u?erst effektiven Entscheidungsfindung, egal wie viele Optionen es ursprünglich gibt. Die Studie liefert den ersten Beweis für einen gemeinsamen Algorithmus, der die Entscheidungsfindung über Artgrenzen hinweg steuert. Sie legt nahe, dass grundlegende geometrische Prinzipien erkl?ren k?nnen, wie und warum sich Tiere so bewegen, wie sie es tun.

Bei den meisten Tieren geht es im Leben darum, zu entscheiden, welchen Ort sie als n?chstes aufsuchen. Egal ob rennend, schwimmend oder fliegend: fortlaufend müssen Tiere Entscheidungen darüber treffen, wo sie fressen, sich verstecken und mit wem sie sich zusammentun. Dank verschiedener Durchbrüche in der Neurobiologie w?hrend der letzten Jahrzehnte, von denen einige 2014 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden, haben wir heute ein besseres Bild davon, wie r?umliche Informationen im Gehirn von Tieren verarbeitet werden. Ein internationales Forschungsteam hat jetzt dieses neurobiologische Wissen angewandt, um zu verstehen, wie Tiere zwischen im Raum verteilten Handlungsoptionen w?hlen.

?Die neuronalen Darstellungen von Handlungsoptionen bei Tieren ?ndern sich zwangsl?ufig, sobald sich die Tiere durch den Raum bewegen“, sagt Vivek Hari Sridhar, Erstautor der Studie und Postdoc am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB) in Konstanz. ?Wenn wir diese Tatsache in unserem Verst?ndnis der r?umlichen Entscheidungsfindung berücksichtigen, offenbaren sich neue und grundlegende geometrische Prinzipien, die bisher unentdeckt blieben, wie wir in unserer Studie zeigen.“

?Raum“ als neue Zutat
An der Studie beteiligt waren Forschende aus den Fachbereichen Biologie, Ingenieurswesen und Physik aus Deutschland, vom Weizmann Institute of Science in Israel und der E?tv?s Loránd Universit?t in Ungarn. Das interdisziplin?re Team lie? sich von der Neurobiologie, der Physik und dem Verhalten von Tieren inspirieren und konstruierte ein Computermodell der Entscheidungsfindung im Gehirn. Das Modell berücksichtigt, wie das Gehirn r?umliche Handlungsoptionen darstellt – in diesem Fall die Richtung zu m?glichen Zielen –, um zu verstehen, wie w?hrend der Fortbewegung r?umliche Entscheidungen getroffen werden.

?Die Berücksichtigung des Zusammenspiels von Bewegung und neuronaler Dynamik war entscheidend“, sagt Sridhar, der seine Arbeit als Doktorand in der Abteilung für kollektives Verhalten an der Universit?t Konstanz und am MPI-AB durchführte. ?Dadurch konnten wir eine neue Perspektive darauf gewinnen, wie das Gehirn Entscheidungen trifft“.

Vereinfachung von komplexen Entscheidungen
Das daraus resultierende Modell sagte voraus, dass das Gehirn komplexe Entscheidungen zwischen mehreren Optionen spontan in eine Reihe von einfacheren Entscheidungen mit jeweils nur zwei Handlungsoptionen zerlegt, bis nur noch eine Option – die letztlich gew?hlte – übrigbleibt. Ein Prozess, den WissenschaftlerInnen als "Bifurkation" – also Aufgabelung – bezeichnen. Im Modell führte dies dazu, dass die simulierten Tiere eine Reihe von abrupten Richtungswechseln vollzogen, die jeweils mit dem Ausschluss einer der verbleibenden Optionen verbunden waren. Jeder Richtungswechsel war dabei das Ergebnis pl?tzlicher Ver?nderungen in der neuronalen Dynamik, je nachdem in welchem geometrischen Verh?ltnis das Tier gerade zu den verbliebenen Handlungsoptionen stand.

Der Algorithmus erwies sich als derart verl?sslich, dass die Forschenden prognostizierten, dass dieser "Aufgabelungsprozess" nicht nur zu ?u?erst pr?zisen Entscheidungen führen würde, sondern auch "universell" sein k?nnte. Indem sie eine Vielzahl an Bewegungsbahnen ihrer simulierten Tiere überlagerten, fanden sie eine Verzweigungsstruktur, die ihrer Erwartung nach auch bei der Bewegung von echten Tieren, die r?umliche Entscheidungen treffen, zu finden sein sollte.

?berprüfung der Theorie
Um ihre theoretischen Vorhersagen bei echten fliegenden, laufenden und schwimmenden Tieren zu testen, nutzen die Forschenden immersive VR-Technologie für Verhaltensexperimente mit Fruchtfliegen, Wüstenheuschrecken und Zebrafischen. Die VR-Technologie erm?glichte es den Forschenden, die Tiere in offenen, fotorealistischen Umgebungen zu testen und gleichzeitig die Bewegungen der Tiere w?hrend der Entscheidungsfindung über viele Wiederholungsexperimente hinweg pr?zise zu messen. Das Ergebnis: Bei allen untersuchten Arten wurden genau die Aufgabelungen in den überlagerten Bewegungsbahnen festgestellt, die durch das Modell vorhergesagt worden waren.

?Man geht h?ufig davon aus, dass die Tiere zun?chst entscheiden, wohin sie gehen, und sich anschlie?end zum gew?hlten Ziel bewegen“, sagt Sridhar. ?Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass das Zusammenspiel zwischen Bewegung und der sich dabei ver?ndernden neuronalen Darstellung von Handlungsoptionen die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, erheblich beeinflusst. Das Spannende daran ist, dass dies zu einer ?u?erst effektiven Entscheidungsfindung in komplexen und vielf?ltigen ?kologischen Kontexten führt.“

Vom Einzelnen zum Kollektiv
Die WissenschaftlerInnen fanden au?erdem heraus, dass die selben geometrischen Prinzipien wahrscheinlich auch für die r?umliche Entscheidungsfindung von Tierkollektiven, wie zum Beispiel umherziehenden Herden oder Vogelschw?rmen, gelten.

Iain Couzin, Letztautor der Studie und Co-Direktor des Exzellenzclusters ?Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universit?t Konstanz sowie Direktor am MPI-AB, sagt: ?Es ist bemerkenswert, dass ein derart eleganter Prozess der Entscheidungsfindung über weite Bereiche biologischer Organisationformen zugrunde liegt: von der neuronalen Dynamik zu individuellen Entscheidungen und von individuellen Entscheidungen bis hin zu kollektiven Bewegungen. Diese Erkenntnis ver?ndert unser Verst?ndnis davon, wie Tiere ihre vielschichtige und komplexe Welt verstehen.“

Faktenübersicht

  • Originalstudie: Vivek H. Sridhar, Liang Li, Dan Gorbonos, Máté Nagy, Bianca R. Schell, Timothy Sorochkin, Nir S. Gov, und Iain D. Couzin (2021) The geometry of decision-making in individuals and collectives, PNAS; DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2102157118
  • Konstanzer Forschende entdecken grundlegende geometrische Prinzipien, die der r?umlichen Entscheidungsfindung bei so verschiedenen Tieren wie Insekten und Fischen zugrunde liegen.
  • Die Studie kombiniert die Entwicklung von Modellen zur Entscheidungsfindung im Gehirn und Verhaltensexperimente in der Virtual Reality mit Fliegen, Heuschrecken und Fischen.
  • Bei der Entscheidung, welches von mehreren verstreut liegenden Zielen sie aufsuchen, bew?ltigen Tiere die Komplexit?t der Aufgabe, indem sie das Problem auf eine Reihe von ?bin?ren“ Entscheidungen mit lediglich zwei Wahlm?glichkeiten reduzieren.
  • Die Autoren Vivek Hari Sridhar, Liang Li, Dan Gorbonos und Iain Couzin sind Mitglieder des Exzellenzclusters "Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour" an der Universit?t Konstanz.
  • F?rderung: National Science Foundation (NSF) und Office of Naval Research (USA), Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der L?nder
  • Kontakt für Interviews oder zus?tzliches Bildmaterial: Vivek Hari Sridhar, Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour und Fachbereich Biologie, Universit?t Konstanz, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB), Konstanz und Iain D. Couzin, Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour und Fachbereich Biologie, Universit?t Konstanz, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB), Konstanz