Wirkung ?ffentlicher Proteste

Prof. Dr. Dirk Leuffen ist seit Januar 2011 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt 明升体育_足球竞彩网-官网e Politik am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universit?t Konstanz. Nach der Promotion an der Universit?t Mannheim arbeitete er von 2005 bis 2010 als Senior Researcher an der ETH Zürich. Derzeit leitet er ein vom Exzellenzcluster ?Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universit?t Konstanz gef?rdertes Projekt zur Erweiterung und Normentwicklung Regionaler Organisationen. Darüber hinaus befasst er sich im Rahmen eines Horizon 2020-Projektes mit der Europ?ischen Wirtschafts- und W?hrungsunion. Dirk Leuffen ist Principal Investigator der Konstanzer Graduiertenschule für Entscheidungswissenschaften.
Prof. Dr. Dirk Leuffen ist seit Januar 2011 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt 明升体育_足球竞彩网-官网e Politik am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universit?t Konstanz. Nach der Promotion an der Universit?t Mannheim arbeitete er von 2005 bis 2010 als Senior Researcher an der ETH Zürich. Derzeit leitet er ein vom Exzellenzcluster ?Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universit?t Konstanz gef?rdertes Projekt zur Erweiterung und Normentwicklung Regionaler Organisationen. Darüber hinaus befasst er sich im Rahmen eines Horizon 2020-Projektes mit der Europ?ischen Wirtschafts- und W?hrungsunion. Dirk Leuffen ist Principal Investigator der Konstanzer Graduiertenschule für Entscheidungswissenschaften.

?Chlorhühnchen, Hormonfleisch und Gentechnik: Nein, danke“ – so lautet eine Schlagzeile in der Tagespresse. Im zugeh?rigen Bericht geht es um Kritik am geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Dirk Leuffen meint, dass ?ffentliche Kritik an TTIP nicht ungeh?rt verhallt. Warum, erkl?rt er im Interview.


Herr Professor Leuffen, immer wieder gibt es Proteste gegen TTIP. Hat die EU-Kommission die Macht der ?ffentlichkeit untersch?tzt?

Untersch?tzt, wei? ich nicht. Aber mit Sicherheit hat sie sich weniger Widerstand gewünscht. Viele Beobachter beklagen, dass es zumindest zu Beginn des Prozesses zu wenig Transparenz gab; so wurde das Verhandlungsmandat der Kommission erst im Oktober 2014 auf massiven Druck der ?ffentlichkeit publiziert. Mit der neuen Handelskommissarin Cecilia Malmstr?m hat sich die Transparenz im vergangenen Herbst sicherlich erh?ht. Inzwischen gibt es Zugang zu zahlreichen Dokumenten im Internet. Aber auch bereits unter ihrem Vorg?nger Karel de Gucht wurde eine 明升体育_足球竞彩网-官网-Konsultation zum sogenannten Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren lanciert. Auff?llig war hier, dass nur vergleichsweise wenige Bürger eigene Positionen eingespeist haben; den Gro?teil aller etwa 150.000 Eingaben machten von wenigen Nichtregierungsorganisationen vorgefertigte Schreiben aus.


Warum sorgt dieses Abkommen für so gro?e Diskussionen?

Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP gilt als das gr??te und umfassendste Handelsabkommen weltweit. Es zielt neben dem Abbau der Z?lle – die es ohnehin kaum mehr zwischen den USA und der EU gibt – auf die Abschaffung sogenannter nicht-tarif?rer Handelshemmnisse. Dies betrifft Standards etwa in Bereichen des Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzes. Kritiker beklagen hier die Gefahr eines ?race to the bottom“ oder zumindest ein Einfrieren des regulativen Status quo. Zahlreiche Bürger in Europa befürchten darüber hinaus, dass TTIP die Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien aush?hlen k?nnte: Zum einen werden sogenannte Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren kritisiert, da diese den Investorenschutz über die staatliche Regulierungskompetenz stellen k?nnten. Daneben wird beklagt, dass im Sinne eines ?living agreement“ amerikanischen Unternehmen in Zukunft formale Anh?rungsrechte im EU-Gesetzgebungsprozess einger?umt werden k?nnten, um die Kompatibilit?t zukünftiger Gesetze mit den Zielen des Handelsabkommens zu gew?hrleisten. Aber natürlich ist Lobbying auch schon jetzt ein weit verbreitetes Ph?nomen dies- und jenseits des Atlantiks. Es w?re also naiv anzunehmen, dass gro?e US-amerikanische Konzerne sich nicht auch ohne TTIP in die europ?ische Politik ?einmischen“ würden. Wohlgemerkt ist das in freien Gesellschaften nicht per se anst??ig. Neben diesen eher ideellen Sorgen gibt es natürlich auch immer Gruppen, die ?konomisch durch den Freihandel verlieren und sich daher dagegen zur Wehr setzen.


Ist es aus Ihrer Sicht überhaupt m?glich, ein so komplexes Abkommen so zu erkl?ren, dass es jeder versteht?

Nein. Ein vollumf?ngliches Verst?ndnis ist hier kaum zu erzielen. Gleichzeitig muss ein solches Abkommen eine gewisse Legitimit?t aufweisen. Wenn die Bürger skeptisch sind und glauben, dass es in dem Abkommen prim?r um die Vertretung von Partikularinteressen geht, ist Aufkl?rung angeraten. Die groben Linien und Ideen k?nnen sicherlich auch einem breiteren Publikum erkl?rt werden.


Laut dem Beitrag ?TTIP – Eine Wahnsinnstat“ in der ?ZEIT“ vom 12. Juni 2014 ?handelt sich um einen Vertrag, den das
internationale Kapital zulasten der nationalen Demokratien abschlie?en will“.

Ja, genau das w?re ein Beispiel für eine solche Kritik, auf die ich eben angespielt habe. Die Befürworter des Abkommens würden jedoch entgegnen, dass man Kapital und Bürger nicht so holzschnittartig gegenüber stellen sollte, schlie?lich kommt Freihandel vor allem auch den Konsumenten zugute, und Wachstumsimpulse k?nnen Arbeitspl?tze schaffen. Darüber hinaus wird von den Befürwortern des Abkommens h?ufig angeführt, dass TTIP auch das Potenzial besitzt, die Spielregeln des internationalen Handels in der globalisierten Welt von morgen festzulegen. Es dürfte eigentlich au?er Frage stehen, dass sowohl die USA als auch die Mitgliedstaaten der Europ?ischen Union demokratische L?nder sind, die sich auch in Zukunft im Wettkampf mit autorit?ren Systemen behaupten wollen.


Die Spekulationen über TTIP schie?en immer wieder ins Kraut. Müssten Ihrer Meinung nach Verhandlungsergebnisse in gewissen Abst?nden ver?ffentlicht werden, um das zu verhindern?

Gem?? dem Sprichwort ?Zu viele K?che verderben den Brei“ führt eine Ver?ffentlichung von Verhandlungsergebnissen natürlich zu neuen Widerst?nden, die den Verhandlungsprozess l?hmen k?nnen. In der Regel gibt es jedoch für jedes Sprichwort auch ein Gegenbeispiel, hier vielleicht: ?Gut Ding will Weile haben“. Nachdem der Gegenstand von TTIP bereits stark politisiert wurde, ist ein einfaches ?Weiter wie bisher“ kaum zu vermitteln. In Abw?gung der beiden M?glichkeiten würde ich das Risiko einer misslingender Geheimhaltung h?her einstufen. Erstens weil Lobby-Gruppen ohnehin Zugang zu den Entscheidungstr?gern und -inhalten finden werden – sprich, die Verschwiegenheit funktioniert kaum und ruft Verschw?rungstheorien auf den Plan. Zweitens – und damit verbunden – legt sich der Eifer in der Regel, wenn die Fragen einen technischeren Charakter annehmen. Plakative S?tze wie ?TTIP ist b?se“, die – man m?chte es kaum für m?glich halten – tats?chlich von Gegnern des Abkommens benutzt und in Form von Aufklebern verteilt werden, k?nnen dann nicht mehr ernst genommen werden.


Noch zwei Zitate aus dem oben bereits erw?hnten Beitrag in der ?ZEIT“: ?Freiheit soll zugunsten von Wohlstand und Arbeitspl?tzen aufgegeben werden.“ Und: ?Freilich ist die TTIP noch nicht zu Ende verhandelt, und wenn Gott will und das demokratische Selbstbewusstsein der europ?ischen Politiker ausreicht, wird sie in der skizzierten Form nicht beschlossen. Aber wie dann?“ Was antworten Sie darauf?

Im ersten von Ihnen genannten Zitat kommt ein sehr idealisiertes Politikverst?ndnis zum Ausdruck. Oder anders formuliert: Ich bin nicht sicher, ob der Autor hier ein hypothetisches TTIP-Szenario einem Idealtypus der Demokratie gegenüberstellt, oder aber einem bestehenden politischen System. Auff?llig ist, nebenbei bemerkt, dass viele, die sonst gerade der EU eine mangelnde demokratische Qualit?t vorwerfen, in der TTIP-Debatte nicht selten die europ?ische Demokratie zu verteidigen scheinen. Jenseits dessen denke ich nicht, dass politische Responsivit?t, die Bereitschaft der Politik, Wünsche und Interessen der Bürger zu berücksichtigen, vom g?ttlichen Willen abh?ngt. Wir beobachten doch gerade, dass die Politik durchaus auf die Sorgen der Bürger zu reagieren scheint – ob aus tats?chlichem Verst?ndnis für diese Sorgen oder aus wahlstrategischen Gründen, das bleibe mal dahingestellt. Wie bereits eben gesagt, die Europ?ische Kommission bemüht sich verst?rkt um Transparenz, und der Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Gabriel zur Schaffung eines europ?isch-amerikanischen Handelsgerichtshofes zeigt auf, dass auch entscheidende Kr?fte – und zu denen z?hle ich den Bundeswirtschaftsminister – erkannt haben, dass die Schiedsgerichtsbarkeit vielleicht in der Tat im transatlantischen Kontext nicht unbedingt n?tig ist und ein alternatives, eventuell legitimeres Modell denkbar w?re. Herr Gabriel zumindest hat verstanden, dass der Gegenstand umstritten ist und dass ein Zugehen auf die Gegner n?tig ist, nicht zuletzt um die Mehrheit der Stimmen im Deutschen Bundestag zu gew?hrleisten. Man muss dazu wissen, dass TTIP ein sogenanntes Gemischtes Abkommen ist, das durch die Organe der EU, aber auch durch die Nationalstaaten ratifiziert werden muss. Einw?nde gibt es übrigens auch im Europ?ischen Parlament sowie auf Seiten des franz?sischen Senats. Wir sehen also, dass der ?ffentliche Protest durchaus Wirkung zeigen kann.


Immer wieder wird bei uns über Politikverdrossenheit geklagt. Auf den Protest an TTIP trifft das nicht zu.

In der Tat. Der Gegenstand ist h?chst politisiert. Die sogenannte selbstorganisierte Europ?ische Bürgerinitiative STOP TTIP hat seit ihrer Lancierung im Oktober schon fast zwei Millionen Unterschriften in Europa gesammelt. Eine zentrale Rolle dabei kommt NGOs zu, die die Kritik bündeln und artikulieren. Die NGOs sind in dieser Frage ungemein professionalisiert – googeln Sie doch einfach mal einen mit TTIP verbundenen Begriff! Sie werden sehen, dass ganz oben in der Trefferliste durch kleine gelbe Felder gekennzeichnete anti-TTIP-Anzeigen erscheinen! Das ist kurios: Globalisierungsgegner bezahlen Google, um Werbung gegen TTIP zu schalten. Aber das zeigt auch den Professionalisierungsgrad der Kampagne: Die NGOs verstehen durchaus die Spielregeln des Kampfes um die ?ffentliche Meinung. Auch Thilo Bodes anti-TTIP-Buch ?Die Freihandelslüge“ ist schon seit Wochen in den Top Ten der deutschen Sachbuch-Bestsellerlisten zu finden. Hier besteht somit ein gro?es Interesse vieler Bürger, die Zusammenh?nge besser zu durchdringen. Und das ist prinzipiell doch eine erfreuliche Entwicklung. So hat die Debatte auch schon dazu geführt, dass gro?zügige Interpretationen von Studienergebnissen über das durch TTIP zu erwartende Wachstumspotential durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ?ffentlich korrigiert werden mussten. Von ?Post-Demokratie“ finde ich in diesem Falle keine Spur.


Was würden Sie Befürwortern von TTIP empfehlen, was Gegnern?

Beiden Seiten würde ich eine Versachlichung der Debatte und eine ernsthafte Diskussion der Vor- und Nachteile des Abkommens empfehlen, denn grunds?tzlich liegt in TTIP ein nicht unerhebliches Gestaltungspotential.

Apropos

Ihre Schwerpunkte sind das politische System der EU, die europ?ische Integration und die Verbindung von Innen- und Au?enpolitik. Es gibt Leute, die sagen: Schlimmer kann es kaum sein.

Wenn man Menschen fragt, was die gro?en Herausforderungen unserer Zeit sind, kommt man sehr schnell auf Themen wie Umwelt, Klimawandel, Globalisierung, Migration oder Sicherheit zu sprechen. Es ist nur ein kleiner Schritt zu realisieren, dass Politik wichtig ist. Und der n?chste Schritt ist zu erkennen, dass L?sungen einzelner Nationalstaaten in den meisten dieser Fragen kaum mehr erfolgversprechend sind. Und nun wollen mir manche Leute sagen, dass die EU irrelevant oder gar langweilig ist?

Waren Sie schon als Kind politisch interessiert?

Als Kind wei? ich nicht. Aber bereits als Jugendlicher gab es für mich am Donnerstag schon den obligatorischen Gang zum Kiosk, um die ZEIT zu kaufen.

Gab es ein Schlüsselerlebnis für Sie?

Nicht dass ich wüsste. Mich fasziniert einfach schon seit l?ngerem die Frage, wie menschliches Zusammenleben funktioniert und welche Rolle Institutionen dabei spielen. Aber auch die strategischen Herausforderungen politischen Handelns finde ich nach wie vor spannend.

Sind Sie mit der politischen Diskussionskultur in Deutschland zufrieden?

Zufrieden w?re sicherlich übertrieben. Zu selten geht es um den Austausch von Argumenten. Aber immerhin wird noch diskutiert.

Prof. Dr. Dirk Leuffen...

ist seit Januar 2011 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt 明升体育_足球竞彩网-官网e Politik am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft der Universit?t Konstanz. Nach der Promotion an der Universit?t Mannheim arbeitete er von 2005 bis 2010 als Senior Researcher an der ETH Zürich. Derzeit leitet er ein vom Exzellenzcluster ?Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universit?t Konstanz gef?rdertes Projekt zur Erweiterung und Normentwicklung Regionaler Organisationen. Darüber hinaus befasst er sich im Rahmen eines Horizon 2020-Projektes mit der Europ?ischen Wirtschafts- und W?hrungsunion. Dirk Leuffen ist Principal Investigator der Konstanzer Graduiertenschule für Entscheidungswissenschaften.